Bön

BÖN ( པོན , tibetisch transliteriert: Bon) ist die lebendige Ur-Religion Tibets. Das Wort „BÖN“ bedeutet so viel wie „Wahrheit oder Wirklichkeit“. Die Lehren des BÖN gehören zu den ältesten spirituellen Systemen der Menschheit. Es war die vorherrschende Religion in Tibet, bevor im 8. Jahrhundert der Buddhismus aus Indien ins Land gelangte. Nach der eigenen Überlieferung geht der BÖN auf Meister Tönpa Shenrab Miwoche zurück, der in mythischer Zeit in einem Land namens Tagzig in Zentralasien lebte.





Später breitete sich BÖN nach Westen aus und wurde Staatsreligion in Zhang-Zhung, im Westen Tibets, das den Berg Kailash umgibt. Von hier aus gelangte der BÖN als Yungdrung BÖN, das heißt Ewiger BÖN, ins weitgehend unzivilisierte Tibet. Die Königsdynastie von Zhang-Zhung ging im 7. Jahrhundert n. Chr. mit der Eroberung des Landes durch den zentraltibetischen König Songtsen Gampo zu Ende. Mit der Stärkung des Buddhismus in Tibet durch König Trisong Detsen (ab 755) wurde die Bön-Religion zunehmend verdrängt und verfolgt. Dass die BÖN Kultur damals trotz konsequenter Verfolgung nicht völlig verschwand verdankt sie einer legendären Auseinandersetzung zwischen dem BÖN praktizierenden Gyerpungpa und dem König Trisong Detsen, in welcher der König unterlag. Er musste daraufhin sein Verbot des BÖN lockern.
Später, im ausgehenden Mittelalter, gründeten die Bönpos, ähnlich wie die Buddhisten, große Kloster-Universitäten, an welchen die spirituellen Lehren überliefert, gepflegt und weiter entwickelt wurden.




Mit dem Vordringen des Buddhismus in Tibet kam es zu einer gegenseitigen Beeinflussung der Religionen, wobei aus dem BÖN rituelle und spirituelle Elemente in den Buddhismus gelangten und umgekehrt sich Anteile des Buddhismus mit der Philosophie des BÖN vermischten. Doch auch in reiner Form lebte der BÖN all die Jahrhunderte hindurch als ungebrochene spirituelle Überlieferung aus dem Königreich Zang Zung weiter.
Diese ursprüngliche BÖN-Religion wurde in den letzten Jahrhunderten von der buddhistischen Staatsreligion Tibets unterdrückt. Doch haben ihre Anhänger sie im Geheimen immer praktiziert und konnten dadurch ihre Tradition in der reinen unverfälschten Form erhalten.








Nach der Okkupation Tibets durch China in den späten 1950er Jahren, insbesondere nach der Flucht des Dalai Lama 1959 nach Indien, erlitt Tibet eine menschliche und kulturelle Tragödie höchsten Ausmaßes. Den Zerstörungen fielen auch zahlreiche BÖN-Klöster zum Opfer.
Im indischen und nepalesischen Exil entstanden nach dem Exodus aus Tibet zwei der vormals wichtigsten Kloster Universitäten des BÖN neu: das Kloster Tashi Menri Ling in Dolanji / Indien und das Kloster Triten Norbutse in Katmandu/Nepal. An beiden Klöstern wird wieder die Geshe Ausbildung angeboten, deren Absolventen damit vollständig ausgebildete Lehrer des Yungdrung BÖN sind. 1977 wurde der BÖN dann von der tibetischen Exilregierung als spirituelle Schule förmlich anerkannt.





Zu den wichtigsten Lehren des BÖN gehört der Glaube an Karma und Reinkarnation und an eine vielschichtige Welt mit zahlreichen belebten Bereichen, die sich unserer direkten Wahrnehmung entziehen. Die BÖN-Lehren lassen sich grob in zwei Gruppen klassifizieren. Die unteren Lehren dienen der Verbesserung der Lebensumstände und sollen Harmonie mit den unsichtbaren Bereichen der Welt herstellen. Die höheren Lehren haben Erleuchtung und Buddhaschaft als Ziel, ihre Basis ist universelles Mitgefühl. Die höchsten Lehren des BÖN sind die Dzogchen – denn diese eröffnen einen direkten Zugang zur wahren zeitlosen Natur jedweder Existenz.


(Quelle: Die Informationen zu diesem Überblick stammen aus Texten von Per Kvaerne, Chris Poche und persönlichen Gesprächen mit HH His Holiness in Menri, Archiv Kloster Menri